Mo le taxi
Hinter Vanessa Paradis Song „Joe le taxi“ steckt sicher ein Dämon: 魔 le 出租车 („Mo le Taxi“; 魔, pinyin: mo = Dämon; „Mo harms mankind“).
Er kündigt zuverlässig das Ende jeder Revolution an und gibt sich schon mal als das kleine Mädchen von nebenan aus. Meist verbreitet er in Gestalt eines achtköpfigen Taxis Angst und Schrecken – nicht nur unter Maos Rache-Kadern. Diese pflegt er zunächst mit qualvoll kitschiger Musik zu erschrecken. Noch dazu nutzt er die Konditionierung durch über 20 Jahre „Maos Rache“-Parties und induziert stets das Trauma, daß der Abend nun gelaufen sei (jahrzehntelang lief dieser Song konsequent als Rausschmeisser). Zu allem Überfluß konfrontiert er aufmerksame Zuhörer*innen noch mit einer Menge problematischer Inhalte, unrühmlicher Geschichten und grausigem Zeitgeist der 80er-Jahre. Es geht um Exotismus, kolonialistische Attitüde, subtilen und weniger subtilen Rassismus, Sexismus, Ausverkauf und die Verherrlichung reaktionären Gedankenguts.
Warum ist „Joe le taxi“ unerträglich?
Aber was macht nun das dämonische an „Joe le taxi“ aus? Ein kleines Mädchen singt über eine harmlos-poppige Soundkulisse von einem Taxifahrer in Paris – was kann daran böse sein?
Ein Kader der 3. Generation hat nie verstanden, wie es dieser Song dauerhaft ins „Maos Rache“-Repertoire geschafft hat und sucht nun die Ursachen für seinen Zweifel. Schließlich gibt es mindestens drei mögliche Gründe den Song zu verdammen:
Qual durch Kitsch
Diese akustische Schikane des Dämon mag sich individuell verschieden stark auf seine Opfer auswirken. Ein einfacher Selbstversuch ist hier zu empfehlen (Achtung: Häufig treten schon nach sehr kurzer Beschallungszeit Beschwerden wie Übelkeit und Gesichtsentgleisung auf).
Zugegebenermaßen: die musikalische Ästhetik ist wirklich subjektiv und kann auch als Trash durchgehen. Ein Stilmittel das vor allem bei jüngeren Generationen mit und ohne Ironie legitim zu sein scheint.
Trauma Partystop
Auch hier sind sicher alle Betroffenen unterschiedlichst vorbelastet. Angst vor der drohenden Arbeitswoche und Montagen im allgemeinen, eine Aufräumphobie und unauskurierte Räusche können dieses Trauma noch verstärken. Allgemein könnte man dem erbarmungslosen Rausschmeisser schon den Charakter eines Zwangskorsetts für die Hedonistische Internationale zuschreiben. Einige Maos Rache-Anhänger*innen haben schon versucht dem Dogma „letzter Song“ dadurch zu entgehen, indem sie möglichst viele weitere verfügbaren Versionen des Lieds hintereinander abspielten…
Aber auch dieses „Trauma“: subjektiv. Eventuell war die Party-Nacht echt lang und gemeinsam Abbauen kann auch mal ganz witzig sein.
Geschichte, Textinhalt und mediale Umsetzung – grausig
Hier entfaltet sich das wahre Potenzial des Dämons. Auf diesem Feld sind konkrete Indikatoren für den Schrecken zwar oft nicht eindeutig zuweisbar. Allerdings sind sie so zahlreich vorhanden, daß eine Beurteilung durchaus möglich ist. Abgesehen davon, daß der Autor offensichtlich sowieso ein Verurteilung anstrebt…
Aber es handelt sich hier eben um ein multimediales Kunstwerk, welches nicht immer explizit, sondern auch in vagen Metaphern spricht. Es wurde außerdem in einer anderen Zeit geschaffen. Noch dazu sind die Felder zur möglichen Analyse weit verteilt über unterschiedliche Medien, Personen und Kontexte.
„Joe le taxi“ scheint ein Produkt zu sein, was sich vermutlich ungefragt verselbstständigt und im Wahn der kommerziellen Verwertung ein unkontrolliertes Eigenleben genehmigt hat. Und wie es bei einem Dämon manchmal üblich ist, hat es womöglich seine Erschaffenden mitgerissen, manipuliert, geistig verdreht und vergiftet.
Die Vorwürfe
Exotismus
Allgemein exotistische Merkmale
Dieser Vorwurf ist anhand des Textes relativ leicht belegbar. Es wird geradezu mit Exotismus als lyrische Grundzutat gearbeitet. Einerseits wird die französische Hauptstadt einseitig und verklärt dargestellt, andererseits wird eine wild durcheinandergewürfelte Mischung aus exotischen Schlagwörtern benutzt um Aufmerksamkeit zu generieren und eine wohlige, emotionale Scheinwelt zu etablieren. Alleine die zusammenhangslose und unstimmige Kombination belegt den exotistischen Charakter: Rumba und Mambo (Kuba / Karibik), Amazonas (Südamerika), Mariachis (Mexiko).
Exotistisches Parisbild
Paris wird unzureichend charakterisiert und romantisiert durch die Beschreibungen: kleine Bars, glänzende Brücken über die Seine. Selbst die “dunklen Ecken” wirken in der Aufzählung positiv aufgeladen. Doch das ist nur ein touristentauglicher Bildausschnitt einer komplexen Metropole.
Dabei bietet bereits das erste Wort im Eingangsdialog des Songs eine mögliche Ausgangsbasis für eine kritischere Auseinandersetzung mit der Großstadt Paris. Der Stadtteil „Barbès“ (wird als Ziel der Taxifahrt genannt) entstand im Rahmen der Umbaumaßnahmen durch Georges-Eugène Haussmann unter Napoleon III. Durch den Abriß, den Wiederaufbau und die folgende Mieterhöhung, wurden die ärmeren Bevölkerungsschichten aus dem Stadtkern vertrieben. Barrikadenkämpfe sollten durch die Beseitigung der engen Gassen ebenfalls unterbunden werden. Klassischer Gentrifizierungs-Stoff, der eher weniger nach Postkarte klingt.
Ghettoisierung vor allem sozial-schwacher und migrantischer Gruppen (durchaus als Folge solcher “Stadtentwicklungen”) ist besonders in den äußeren Bezirken von Paris präsent und wird auch popkulturell behandelt. Beispielhaft seien hier Filme wie „Banlieue 13“ (2004), „Die Wütenden – Les Misérables“ (2019) oder „Athena“ (2022) erwähnt (diese bewegen sich zugegebenermaßen auf recht unterschiedlichen Niveaus).
Aber „Barbès“ (benannt nach Armand Barbès, einem revolutionären französischen Republikaner während des Aufstands gegen König Ludwig Philipp und in der Februarrevolution von 1848) ist auch als multikulturelles Viertel bekannt und läd Touristen zum flanieren ein. Vermutlich sollte dieser Aspekt im Song betont werden.
Außerdem hat sich ein Veranstaltungsort für Jazz und Weltmusik in Brooklyn 2002 ebenso benannt. Unwahrscheinlich also, daß Vanessa Paradis bereits 1987 nach New York fahren wollte, wie das offizielle Video (1) suggerieren könnte. (siehe Abschnitt “Checker Taxicab”)
Exotica
Um außerdem an bereits verinnerlichte exotische Bilder in den Köpfen der Konsumierenden anknüpfen zu können, werden auch zwei Vertreter*innen des musikalischen Genres „Exotica“ wörtlich referenziert:
Xavier Cugat (spanischer katalanischer Komponist, 01.01.1900 – 27.10.1990 ) feierte in Amerika Erfolge durch Auftritte und Orchesteraufnahmen in verklärend exotischem Gewand. Die Plattencover präsentieren oft eine klischeegespickte Bildwelt aus leicht bekleideten Frauen, Dschungel, Trommeln und leicht bekleideten Frauen. Sein lateinamerikanisch geprägter Musikstil brachte ihm in den USA in den 1930er und 1940er Jahren den Beinamen „Der Rumba-König“ ein. Ihm ist ein Stern auf dem Hollywood Walk of Fame gewidmet.
„I would rather play Chiquita Banana and have my swimming pool than play Bach and starve.“ – „Ich würde lieber Chiquita Banana spielen und meinen eigenen Swimming Pool haben, als Bach zu spielen und zu hungern.“
Yma Súmac (peruanische Sängerin, 13.09.1922 – 01.11.2008) wurde durch ihre Stimme und ihren exzentrisch-folkloristischen Modestil in Amerika und weltweit zur Ikone. Sie hat ebenfalls einen Stern auf dem Hollywood Walk of Fame inne und wird „Queen of Exotica“ genannt. In Peru selbst wurde sie heftig dafür kritisiert, daß sie ein Bild von Peru vermittelt hat, daß in der Realität gar nicht existiert.
Joe
Die Hauptfigur „Joe“ wird als trinkende, und exotische Musik liebende Figur beschrieben und gewinnt ihren Reiz aus der Anhäufung von überspitzten Bilder und Gegensätzen, die sich auch mal polemisch überschlagen: Alkohol versus Autofahren. Schwarzer, männlicher, erwachsener und verwegener Taxifahrer versus kindliche, unschuldig anmutende, weiße Sängerin (Darstellungen im offiziellen Video 1). Taxifahren als „Sinn des Lebens“ versus prekärer und gefährlicher Job.
Checker Taxicab
Zu guter Letzt wurde zur Aufrechterhaltung des Klischees „Taxi“, sogar das originale Paris-Setting aus dem Liedtext für das offizielle Video (1) geopfert. Ein Taxi muß demnach einfach ein Checker Taxicab aus New York sein. Auch wenn dieses Auto in Paris wenig Sinn macht. Die Tatsache, daß es in New York seit 2002 einen Veranstaltungsort namens „Barbès“ gibt hilft hier nur bedingt weiter.
Klischees um jeden Preis
Klischees um jeden Preis? Sogar referenzierte Klischees wie die beiden Musiker*innen werden benutzt, quasi Konserven-Klischees aus dem Archiv. Womöglich hofften die Macher von „Joe le taxi“, daß die Konsument*innen Aufmerksamkeit und Geld sofort dann reflexhaft teilen, wenn möglichst deutliche und überbeanspruchte Bilder in deren Hirnschablonen gestopft werden.
Aber es stecken noch mehr Klischees in „Joe le taxi“:
Kolonialistische Attitude
Schwarzer als Dienstleister
Im ersten offiziellen Musikvideo wird „Joe“ als schwarzer männlicher Taxifahrer inszeniert. Er ist also Dienstleister in einem klassischen Niedriglohnjob der ohne höhere Ausbildung ausgeübt werden kann. Es werden also rassistische und klassistische Klischees reproduziert. Dabei bot die Realität sogar die originellere Story, denn “Joe” war in Wirklichkeit der Spitzname von Maria-José Léao Dos Santos (siehe Kapitel „Sexismus“).
„Joe“ wird auch zugeschrieben, daß Taxifahren sein Leben sei („C‘est sa vie“) und er sich folglich mit seiner prekären Situation abgibt. Bezieht man seinen Alkoholkonsum als mögliche Ausflucht mit ein, wird hier ein recht sarkastisches Bild erschaffen, welches kritiklos an reelle Mißstände anknüpft, sie sogar versucht zu beschönigen. Die Selbstverständlichkeit mit der außerdem dieses Bild formuliert wird, spiegelt eine offenbar rassistisch-kolonialistische Grundhaltung wieder.
Martinique – neokoloniale Bezüge
Das zweite offizielle Musikvideo wurde auf Martinique gedreht und zeigt, wie Vanessa Paradis von einem anderen, ebenfalls schwarzen Fahrer, in einem offenen Jeep durch die Straßen von „Fort de France“ gefahren wird. Sie steht dabei herrschaftlich aufrecht über dem Fahrer, gleich einer Kommandeurin. Die Tour ist scheinbar ziellos und wird nur durch Garten-Szenen unterbrochen, die Paradis im Minirock zwischen der kultivierten botanischen Opulenz der Insel zeigen.
Martinique war französische Kolonie und wurde 1946 zu einem der französischen Übersee-Départements (Départements d’Outre-Mer/DOM), die politisch als Teil des Mutterlandes gelten. Es ist als Teil der EU auch auf dem 50 Euro-Schein abgebildet.
Bananen tragen zu 40 % der Exporterlöse bei und sind damit das wichtigste Exportgut. Mit den Früchten, die auch unter der Marke „la banana francaise“ vertrieben werden, hält sich Frankreich damit einen günstigen Zugang zu zertifizierten Südfrüchten nach EU-Standard.
“Französische” Bananen gestern und heute:
Wie der aktuelle Anspruch auf eine “Französische” Banane vielleicht auch ohne koloniale Methoden umgesetzt werden kann, wird hier beschrieben.
Rohrzucker und Rum sind weitere wichtige landwirtschaftliche Export-Produkte und haben direkten Bezug zum Rum-trinkenden „Joe“.
Im sekundären Bereich ist die 1969 von Charles de Gaulle gegründete „Société Anonyme de la Raffinerie des Antilles“ (SARA) erwähnenswert. Sie ist eines der bedeutendsten Industrieunternehmen der Insel und raffiniert jährlich etwa 820.000 Tonnen Rohöl, das hauptsächlich aus Venezuela aber auch aus der Nordsee und dem Persischen Golf stammt. Wieviel Treibstoff davon für die Taxibranche bestimmt ist, ist leider nicht bekannt…
Die Bevölkerung ist zu ca. 80 % afrikanischer Herkunft. 15 % der Bewohner sind indischer oder afro-indischer Herkunft (in Martinique „Coolies“ genannt), überwiegend im Osten der Insel. Etwa 5 % der Einwohner Martiniques sind europäischer Abstammung. Zu dieser Gruppe gehören die auf Martinique geborenen Weißen, die von der kolonialen Oberschicht abstammen und „Béké“ genannt werden. Sie lassen sich auf etwa 30 Familien zurückführen.
Im Jahr 2017 leben 29% der Martinikaner unterhalb der Armutsgrenze, doppelt so viele wie in Frankreich. Die Ungleichheit ist hoch und ausgeprägter als im französischen Mutterland: Die reichsten 10% verdienen mindestens 4,2-mal mehr als die Obergrenze der ärmsten 10%.
2009 kam es zu einem Generalstreik, Auslöser waren die hohen Lebenshaltungskosten. Gegner der Streikenden waren die „Békés“, die Nachfahren der früheren weißen Sklavenhalter, die die Inseln ökonomisch noch immer weitgehend dominieren. Die Streikenden konnten höhere Löhne durchsetzen. Die Zusagen wurden allerdings zum Teil nicht eingehalten.
Die “Békés” kontrollieren auch den Nahrungsmittel Im- und Export.
Ausgebeutete (in Martinique) produzieren also für andere Ausgebeutete (in Paris) Treibstoff für Mensch und Fahrzeug und davon profitieren vermutlich vor allem die französischen Konzerne. Einerseits werden im Songtext bzw. in der Videoumsetzung die Referenzen klar angesprochen und gezeigt, andererseits wird nirgends im Song diese kapitalistische Problematik kontextualisiert. Also bleibt folglich nur die Annahme, daß diese kolonialen Strukturen offen unterstützt oder wenigstens billigend in Kauf genommen wurden.
Rassismus
Rassistisches Klischee
In beiden offiziellen Videos wird der Taxifahrer „Joe“ als schwarze Person dargestellt. Neben der Tatsache, daß der schwarze „Joe“ die Position als Dienstleister inne hat, ist auch folgende Text-Passage problematisch: „…Connaît toutes les rues par cœur“, „…Kennt alle Strassen mit dem Herzen“ – nicht aus dem Kopf. Seine fachliche Expertise als Taxifahrer wird so indirekt in Frage gestellt. Diese Art der Abwertung hängt unmittelbar mit dem Image seiner exotisierten Rolle zusammen. Wird hier Intuition vorgeschoben, weil in rassistischen Denkmustern kein Platz für Sachkenntnis ist? (Übersetzungsfehler, richtig: „Connaît… par cœur“ = “auswendig kennen”)
Blackfacing
Der offensichtlichste und platteste Rassismus findet sich aber in den Inszenierungen des Songs im Rahmen der damals üblichen Hitparaden-Fernsehshows. Hier trat Vanessa Paradis stets mit einer Gruppe tanzender Saxophonisten auf. Diese mimten mit schwarz bemaltem Gesicht die klassischen Clowns rassistischer amerikanischer Unterhaltungsprogramm aus den letzten Jahrhunderten. Das Blackfacing fiel offenbar erst aus dem Programm, als ein Auftritt beim englischen Format „Top of the Pops“ anstand.
Blackfacing – auch heute…
Doch die Nachwehen sind leider verheerend: noch 2015 lief im Russischen Fernsehen eine Nachinszenierung von Elena Maksimova im Rahmen der Show „Toch-v-Toch“, wo jenes Blackfacing 1:1 reproduziert wurde:
Lassismus?
Auch das Cover der Vinyl-Compilation, auf der “Joe le taxi” angeblich zu Maos Rache kam, kommt nicht ohne Rassismen aus:
Sexismus
Le vraie Joe
„Joe“ wird in beiden Musikvideos als männlich gelesene Person dargestellt. Daß „Joe“ in Wirklichkeit eine Frau war, wird in all den medialen Inszenierungen unterschlagen. Texter Étienne Roda-Gil hat sich bei der Erschaffung des Charakters aber an einer echten Person orientiert: Maria-José Léao Dos Santos (1955–2019).
Sie floh wegen ihrer Sexualität in den 70er Jahren vor dem repressiven portugiesischen Estado Novo Regime nach Frankreich und avanchierte zur Kennerin des Pariser Nachtlebens. Sie fuhr Taxi, auch für die französich-vietnamesische Schriftstellerin und Club-Besitzerin Elula Perrin und beförderte eben jenen Étienne Roda-Gil. Dieser war wohl so inspiriert von ihrer Lebensgeschichte, daß er sie um Erlaubnis bat, einen Song über sie zu schreiben. Nichtsahnend, wer er war, gab sie ihm die Erlaubnis. Ihre Sichtbarkeit als queere Person allerdings wurde vertuscht, stattdessen wurde sie durch eine männliche Person ersetzt.
Können Frauen nicht Autofahren? Und dürfen Frauen nicht nachts unterwegs sein?
Ihre Lebensgefährtin Johanne Dumoutier verteidigt den Gender-Switch allerdings: „Als das Lied 1987 veröffentlicht wurde, gab es nicht viele Taxifahrerinnen, geschweige denn Nachtschichten, also wäre es nicht glaubwürdig gewesen, über eine weibliche Figur zu singen!“ Dem entgegen steht, daß bereits seit Februar 1907 Frauen in Paris als zertifizierte Taxifahrerinnen arbeiteten: Mme. Charnier und Mme. Clementine Dufaut als Pferdekutscherinnen, Inès Decourcelle und Mary-Gillette Pascaux mit Automobil.
Cute Marketing
Die kindlich-natürliche Art der gesanglichen Interpretation bot Identifikationspotiential für das Publikum.
Über ihren frühen musikalischen Erfolg erzählt Paradis dem Interview-Magazin: „It was never like somebody pushed me to sing, because I wanted to do it. But I wanted to do it more like how you‘d be at home with your friends and put on a show together.“ Sowohl dieser Gesangstil, als auch das junge Erscheinungsbild von Vanessa Paradis haben wohl maßgeblich zum Erfolg des Songs beigetragen.
Noch heute füllen sich die Kommentarspalten auf den entsprechenden Videoplatformen mit Aussagen wie „süß“ Vanessa Paradis doch sei. Das kindliche Bild bzw. die Tasache, daß Vanessa Paradis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung 14 Jahre jung war, wird bewusst entsprechend der klassischen Werbestrategie „Cute Marketing“ eingesetzt.
Ausverkauf
Der Titel ist als extrem performantes Produkt angelegt und funktioniert offenbar interdisziplinär bestens. Die romantisierenden Lyrics bedienen einerseits eben exotistische Klischees und Erwartungen, bekommen aber durch die kindliche Interpretation von Vanessa Paradis den nötigen Spannungsrahmen. Ein blonder Kinderstar, der in knappen Outfits Lieder über trinkende Taxifahrer und das Pariser Nachtleben singt, begleitet von tanzenden Saxofonspielern in Blackfacing Outfit – das bietet starke Kontraste und klingt nach Aufmerksamkeitsgarantie.
Die Schattenseiten des Erfolgs
Nach dem Erfolg von „Joe le taxi“ wurden Wände in ihrem Viertel mit „Hure“ beschmiert, sie selbst auf der Straße angespuckt. „Looking back, I think it was inevitable,“ sagt sie dem Guardian, „I can‘t just hate everyone for it, not at all. I was everywhere: the song was very, very big, in every magazine, every radio or TV show, even though that wasn‘t my desire, and I can see that there would be a kickback. It was too much.“
Wurde sie in ihrer altersbedingt relativ unmündigen Situation ausgenutzt und war unfreiwillig Teil einer mit allen Mitteln nach Aufmerksamkeit schreienden Vermarktung, die sie nicht beeinflussen konnte? Wenn sie wirklich den Erfolg nicht so begehrte, wie sie sagt, war sie einfach Opfer alter, weißer Männer?
Franchise
Der Song wurde gleich einem Franchise-System auch für andere Märkten adaptiert:
„Joe le taxi“ written by Franck Langolff, Étienne Roda-Gil French June 1987 (Frankreich)
„Hallo Taxi“ written by Michy Reincke German 1987, Anja Krenz (Deutschland)
„Voy en Táxi“ written by Biafra, Aloysio Reis Portuguese 1988, Angélica Vale (Brasilien)
„Vou de taxi“ written by Carmelo D‘Acquisto 1991, Pentagono (Spanien)
„Joe Le Taxi (新混音版)“, 1988, Priscilla Chan (陳慧嫻) (China)
Und weitere unzählige Coverversionen, von Stereo Total über Hanayo bis Medine, machen aus dem Song offenbar eine wahre Gelddruckmaschine.
Vanessa Paradis
Paradis wurde am 22.12.1972 in Saint-Maur-des-Fossés, bei Paris gebohren. Ihre Eltern sind Innenarchitekten (André and Corinne Paradis). Sie singt mit 8 Jahren, Philippe Chatel‘s „Emilie Jolie“ in der Kinder TV-Show „L‘École des Fans“. Ihre erste Single „La Magie des surprises-parties“ nahm sie 1983 auf und trat 1985 bei einem italienischen Festival auf.
1985 ermöglicht ihr Onkel Didier Pain, ein Freund von Franck Langolff (Komponist von „Joe le taxi“) einen Studiobesuch bei Sophie Marceau.
Für Vanessa Paradis war „Joe le taxi“ 1987 zwar nicht der Einstieg, aber ein gewaltiger Booster für ihre lukrative Karriere. Auch wenn sie vordergründig den Erfolg nicht verstehen will: „If you listen to [Joe le Taxi], it is a very simple rumba; it wasn‘t meant to be a big pop song at all. I have no idea why it was so successful. It was just one of those moments…“ erklärt sie dem Daily Telegraph.
Nach „Joe le taxi“ folgten erste Filmrollen („Noce Blanche“) inkl. César (französischer Oskar), ein £300,000 Model-Deal mit Chanel, weitere Alben, u. a. ein englischsprachiges Album 1992 inkl. UK Top 10 Hit, produziert von ihrem damaligen Freund Lenny Kravitz, und der Einzug ins gelobte Land Hollywood. Ihr Vermögen wird auf 150 Million Dollar geschätzt. Sie pendelt zwischen Anwesen in LA und Paris. Johnny Depp hatte außerdem eine luxuriöse Yacht nach ihr und den gemeinsamen Kindern benannt (“Vajoliroja”). Ein einfaches Taxi wirkt im Vergleich dazu relativ unattraktiv…
Verherrlichung reaktionären Gedankenguts
Im Text wird gemäß einer „früher war alles besser“-Attitude die Vergangenheit verherrlicht. Erwähnt werden nur die kleinen Pariser Ecken, nicht der Großstadt-Dschungel. Die vorgestellte Musik wie Mambo ist auch für damalige Verhältnisse ziemlich retro. Und beim „Rock“ wird sogar explizit „vieux“ (alt) beigefügt.
Ist der Song eine reaktionäre Gegenstimme zum sonst auch sehr futuristisch anmutendem Grundtenor der 80er Jahre (Technische Neuerungen wie digitale Studiotechnik, Filme wie „Back to the future“, „Bladerunner“, „E.T.“)?
Das Checker Taxi Cab, wie im offiziellen Video (1) zu sehen, wurde bereits 1982, also 5 Jahre vor Veröffentlichung von “Joe le taxi”, eingestellt. Also auch ein romantisierendes Nachtrauern?
Texter Étienne Roda-Gil soll Anarchist gewesen sein, außerdem angeblich Mitglied der Situationistischen Internationale. Spuren einer solchen politischen Ausrichtung finden sich bei „Joe le taxi“ nicht wirklich. Es sei denn, es ist alles irgendwie doppeldeutig oder als Scherz gemeint. Es liegt aber die Vermutung nahe, daß sich mit dem Alter einfach reaktionäre Tendenzen entwickeln…
Fazit?
Was bleibt? Ist „Joe le taxi“ nun wirklich ein verfluchter Dämon? Oder nur eine trashige Spinnerei? Eine geklaute Geschichte? Ein rassistisches Musical aus dem letzten Jahrhundert? Vielleicht ist es einfach eine Geschäftsidee alter weißer Männer? Ein großes Mißverständnis aufgrund eines nicht zu dechiffrierenden künstlerischen Ansatzes? Die Ermächtigung eines Kinderstars, der das Biz gelernt hat?
Quasi ganz normaler Wahnsinn, der sich nach kapitalistischer Verwertungslogik auf Grundlage von bestehenden Rollenklischees, Marktmechanismen, antiquierten Weltbildern und auf Kosten von Minderheiten durch die Unterhaltungsgesellschaft frißt?
Also etwa doch ein Dämon?
Sicher, die 80er Jahre waren eine andere Zeit und manche Kritikpunkte mögen auch etwas weiter her geholt sein. Doch die Tatsache, daß dieser Song Teil von Maos Rache ist, hebt die Meßlatte natürlich ins unermessliche. Womöglich ist jeder Popschlager in den Charts ähnlich problematisch. Jedoch stellt sich da die Frage für Maos Rache nicht. Denn wer ist schon überrascht auf Scheiße zu treffen, wenn gerade im Misthaufen gewühlt wird…
Manche Rechercheergebnisse sind auch recht ambivalent ausgefallen oder haben sich im Verlauf mehrfach gewandelt. Viele Zusammenhänge sind es wert weiter erforscht zu werden, denn oft dreht sich eine Beurteilung eben ins Gegenteil, wenn neue Zusatzinformationen auftauchen.
Vielleicht ist dieses rudimentäre Dokument deshalb auch als Aufforderung zu verstehen eine vollständigere Recherche zu starten. Vas y!
Der Song
Vanessa Paradis: Joe le taxi 1987 (Polydor)
Chartplatzierung: Platz 1 in 14 Ländern, blieb 11 Wochen auf Platz der französischen Charts.
1 300 000 verkaufte Exemplare in Frankreich, 3 200 000 verkaufte Exemplare weltweit.
Gesang: Vanessa Paradis (14 Jahre)
Text: Étienne Roda-Gil
Musik: Langolff Franck
Arrangement: Joshua D’Arche
Produzent: Marc Lumbroso
Videos
Video 1
Vanessa Paradis: Joe le taxi (Version 1) – “Taxi New York”
Music Video, 1987, PG-13, 4m,
Regisseur: Jean-Sébastien Deligny
https://www.imdb.com/title/tt6887610/
Video 2
Vanessa Paradis: Joe le taxi (Version 2) – “Martinique”
Music Video, 1987, 4m
https://www.imdb.com/title/tt10997600/
Video 3
Vanessa Paradis: Joe le taxi (Version 3) – “Tour Eiffel”
Music Video, 1988, 3:30m
Text
französich (original)
(Intro)
Barbesse
Bienvenue chez Joe
Joe le taxi, il va pas partout
Il marche pas au soda
Son saxo jaune
Connaît toutes les rues par cœur
Tous les petits bars
Tous les coins noirs
Et la Seine
Et ses ponts qui brillent
Dans sa caisse
La musique à Joe
C′est la rumba
Le vieux rock au mambo
Joe le taxi
C‘est sa vie
Le rhum au mambo
Embouteillage
Il est comme ça
Rhum et mambo
Joe, Joe, Joe
Dans sa caisse (Joe, Joe, Joe)
La musique à Joe résonne (Joe, Joe, Joe)
C′est la rumba (Joe, Joe, Joe)
Le vieux rock au mambo bidon (Joe, Joe, Joe)
Vas-y Joe (Joe, Joe, Joe)
Vas-y Joe (Joe, Joe, Joe)
Vas-y fonce (Joe, Joe, Joe)
Dans la nuit vers l‘Amazone (Joe, Joe, Joe)
Joe le taxi
Et Xavier Cugat
Joe le taxi
Et Yma Sumac
Joe, Joe, Joe
(Joe, Joe, Joe)
(Joe, Joe, Joe)
(Joe, Joe, Joe)
Joe le taxi
C‘est sa vie
Le rhum au mambo
Embouteillage
Joe le taxi
Et les Mariachis
Joe le taxi (Joe, Joe, Joe)
Et le cha-cha-chi (Joe, Joe, Joe)
Joe le taxi (Joe, Joe, Joe)
Et le cha-cha-chi (Joe, Joe, Joe)
Vas-y Joe (Joe, Joe, Joe)
Vas-y fonce (Joe, Joe, Joe)
Dans la nuit vers l′Amazone (Joe, Joe, Joe)
Joe le taxi (Joe, Joe, Joe)
Et le cha-cha-chi (Joe, Joe, Joe)
Joe le taxi (Joe, Joe, Joe)
(musixmatch.com)
deutsch (per Google Translate)
Joe, der Taxifahrer
Joe der Taxifahrer
Fährt nicht überall hin
Fährt nicht mit Soda
Sein gelbes Saxophon
Kennt alle Strassen auswendig
Alle kleinen Bars
Alle dunklen Ecken
Und die Seine
Und ihre glänzenden Brücken
In seiner Kiste
Ist Joes Musik
Der Rumba
Der alte Rock im Mambo-Stil
Joe, der Taxifahrer
Das ist sein Leben
Der Rhum zum Mambo
Stau*
So ist er halt
Rum und Mambo
Joe, Joe, Joe
In seiner Kiste (tscha-tscha-tscha)
Dröhnt die Musik für Joe (tscha, tscha, tscha)
Es ist der Rumba (tscha, tscha.tscha)
Der alte Rock im falschen Mambo-Stil (tscha, tscha.tscha)
Fahr zu, Joe (tscha, tscha.tscha)
Fahr zu, Joe (tscha, tscha.tscha)
Fahr zu, mach hin (tscha, tscha.tscha)
In die Nacht zum Amazonas (tscha, tscha.tscha)
Joe, der Taxifahrer
Und Xavier Cugat
Joe, der Taxifahrer
Und Yma Sumac
Joe, Joe, Joe
Joe, der Taxifahrer
Das ist sein Leben
Der Rhum im Mambo-Stil
Stau
Joe der Taxifahrer
Und die Mariachis
Joe, der Taxifahrer (tscha, tscha.tscha)
Und der Tscha-Tscha-Tscha (tscha, tscha.tscha)
Joe, der Taxifahrer (tscha, tscha.tscha)
Und der Tscha-Tscha-Tscha (tscha, tscha,tscha)
Fahr zu, Joe (tscha, tscha, tscha)
Fahr zu, mach hin (tscha, tscha, tscha)
In die Nacht zum Amazonas (tscha, tscha, tscha)
Joe der Taxifahrer (tscha, tscha, tscha)
Und der Tscha-Tscha-Tscha (tscha, tscha, tscha)
Joe, der Taxifahrer …
[…] weiter zu Mo le taxi […]
Danke für die erhellende Aufarbeitung. Wie naiv ich doch war, als ich das Lied als eine Aufforderung sah, nach durchzechter Nacht vielleicht doch ein Taxi zu nehmen…